Der Stadtelefant im Sonnwendviertel

Erstellt am 10. Januar 2019 von Brigitte Groihofer
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Die Aufgabe war eine besondere, denn die Architekten wurden zu ihren eigenen Auftraggebern. Ein spannender Perspektivwechsel. Das Ergebnis ist ein Haus für Kreative, ein Denk- und Vernetzungsort, in das Franz&Sue mit Projektpartnern einziehen, wie PLOV, SOLID, a-null Bausoftware, Hoyer Brandschutz, architektur in progress, der Architekturstiftung Österreich und Barbara Chira, Betreiberin der Kantine.

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Ein Pilotprojekt
Das erste seiner Art in Wien und Österreich entsteht im Wiener Sonnwendviertel, dem vom Wiener Hauptbahnhof und einem großen, neuen Wohnviertel geprägten Stadtteil. Das WienerArchitekturbüro Franz&Sue bauen mit Partnern aus der Architekturbranche ein eigenes Bürohaus und realisieren damit einen Architekturcluster in der Bloch-Bauer-Promenade 23. Im Laufe des Februars 2019 werden alle gemeinsam in das sechsstöckige Haus mit öffentlich zugänglicher Kantine und Veranstaltungsräumen im Erdgeschoß einziehen. Franz&Sue haben das Projekt initiiert und die Planung, unter Berücksichtigung der Wünsche aller Beteiligten, übernommen. Die Finanzierung haben die fünf Errichtungspartner im Architekturcluster gemeinsam aufgestellt. Alle Partner agieren dabei gemeinsam in Form einer gewerblichen Baugruppe. Baubeginn war im August 2017.

Vom Architekten zum Auftraggeber
Ausgangspunkt war Neugierde, wie Franz&Sue sagen, „uns interessiert das kooperative Arbeiten auf Augenhöhe und der intensive Wissensaustausch, innerhalb unseres Teams, aber auch mit anderen. Aus dieser Überzeugung heraus initiierten wir vor zehn Jahren den ‚fight club‘ einen monatlichen Jour Fixe mit befreundeten Architekturbüros und Interessierten, der bis heute regelmäßig stattfindet. Mit vier Büros aus dem fight club kam auch die Vision, dass wir gemeinsam ein Bürohaus bauen wollen, um dieses selbst zu nutzen. Ein Haus zum Arbeiten, zum Diskutieren und zum Wissen teilen, mit einer öffentlichen Kantine für gemeinsame Mittagessen und einem Raum für Veranstaltungen.“

Hurtig begann die Suche nach einem Standort. 2015 kamen dann der Zufall und die Chance in Form einer Auslobung der ÖBB mit der Auflage, kluge Konzepte für Quartiershäuser mit einem lebendigen Erdgeschoß im Sonnwendviertel zu schaffen. Die Jury war vom Konzept des Teams, inmitten des Wohnquartiers zu arbeiten, schnell überzeugt. Und das Pionierprojekt – es ist das einzige Gebäude in diesem Neubaugebiet, in dem auf allen Regelgeschoßen gearbeitet wird und das als Bürohaus von einer GmbH gewerblicher Nutzer selbst entwickelt, geplant, errichtet und finanziert wird – war startklar. Das Projekt wurde der S-Immo, die im Wettbewerb der geforderte Bauträger war, zu „überschaubaren Forderungen“ abgekauft, eine GmbH zum Bauen gegründet, und schon war der Perspektivwechsel – vom Architekten zum Auftraggeber – vollzogen.

Der Architekturcluster
Die Beteiligten einigten sich zur gemeinschaftlichen Nutzung des Erdgeschoßes, darüber stapeln sich die Büros, die von den neuen Eigentümern in Form von Krediten und Eigenmitteln finanziert werden. In den oberen eineinhalb Geschoßen befinden sich vier Wohnungen, die von Bürokollegen genutzt werden, eine davon wurde mittlerweile allerdings bereits an befreundete Statiker vermietet, die im Haus mitarbeiten möchten. Das Anliegen, einen repräsentativen Querschnitt von Architekturarbeit ins Haus zu holen und Expertenwissen zu bündeln, entstehende Synergien zu nutzen, machen den Bau zu einem, wie die Architekten meinen, einzigartigen Projekt in Österreich. Erwin Stättner, Partner von Franz&Sue meint dazu: „Es wird ein buntes und lebendiges Haus. Wir werden dort leben und arbeiten, Kaffee trinken, gute Mittagessen zu uns nehmen, Feste feiern und noch viele, viele Pläne schmieden.“

Die Umsetzung: Gründerzeithaus 2.0
Der Rollenwechsel, der Blick durch die Augen des Auftraggebers führte durchaus zu Konfrontationen, zu neuen Herausforderungen und zu einem Lernprozess. Man wollte den Platz möglichst intensiv ausnutzen und plante im ersten Entwurf neun Ebenen mit nur 2,80 Meter Raumhöhe. Doch Vorbild und Inspiration war eigentlich das von allen geschätzte flexible Gründerzeithaus, mit Fassadenraster, hohen Räumen, Fensterbänken und Stuck. Also gingen die Architekten in sich und reduzierten auf siebeneinhalb Ebenen, zuoberst einem Staffelgeschoß, dafür alle mit durchgehend 3,20 Meter Raumhöhe. Die unkomplizierte und flexible räumliche Struktur strahlt das Flair und die Qualität eines Wiener Altbaus aus. Die Fassade mit großen Fenstern im strengen Betonraster hebt sich von der Glaskasten-Monotonie typischer Büroneubauten ab. Das Gebäude gibt sich ruhig, schlicht und unaufgeregt. Das voll verglaste Erdgeschoß öffnet es für den Dialog mit dem Quartier und der Öffentlichkeit. Franz&Sue: „Wir sind am Projekt gewachsen, haben Know-how zur Gesamtprojektentwicklung erworben, und vor allem verstehen wir die Sorgen und Anliegen unserer Auftraggeber um ein gutes Stück besser.“

Ehrliche Materialen: Flexibel und nachhaltig
Im Grundriss bleiben die einzelnen Etagen des Hauses offen gestaltbar – auf tragende Zwischenwände, Gänge oder Erschließungsflächen wurde gänzlich verzichtet. Die Flächen werden lediglich durch den Stiegenhaus- und WC-Kern strukturiert. So bleiben die Räumlichkeiten langfristig flexibel nutzbar und sind damit nachhaltig. Beim Bau der Fassade wurden etwa 3,30 × 3,60 Meter große Betonfertigteile verwendet, die wie ein Puzzle präzise zusammengesetzt wurden. Eine Besonderheit sind die Innen- und Außenseiten. Denn zwischen den in der Halle des Fertigteilproduzenten vorgefertigten, sandgestrahlten Sichtbetonflächen, ist die Wärmedämmung bereits eingelegt. So ist der Rohbau bereits der fertige Ausbau und kommt ohne zusätzlichen Innen- bzw. Außenputz aus.

Thermische Bauteilaktivierung
Durch diese Bauweise kamen die Planer auch mit minimaler Haustechnik aus — der Beton wirkt aktiv als Speichermasse, die Kühlung und Minimallüftung erfolgt über die STB-Decken. Es gibt keine Zwischendecken. Nach diesen Stahlbeton­arbeiten war das Haus so gut wie fertig, hinzu kamen nur noch die Fenster und der Boden. Eine, wie die Architekten finden, zeitgemäße und ökonomische Bauweise. Bei der „Thermischen Bauteilaktivierung“ (TBA) werden Rohrsysteme in großflächige Bauteile aus Beton eingelegt, durch die warmes oder kaltes Wasser geleitet wird. Das Wasser gibt die Wärme oder Kälte an den Beton ab, der mit seiner hohen Materialdichte die Energie speichert und den Raum gleichmäßig beheizt oder kühlt. Großflächige Betonbauteile ersetzen damit den klassischen Heizkörper bzw. die Klimaanlage. Franz&Sue haben das System mit einer zusätzlichen Heizung bzw. Kühlung in den Fußböden ergänzt.

Der neue Treffpunkt für die Architekturszene
Mit Spannung und Vorfreude warten alle darauf, das Haus in Kürze mit Leben zu füllen. Die 200 Quadratmeter gemeinsam genutzte Erdgeschoßfläche wird tagsüber als hauseigene Kantine genutzt, denn schon bisher wurde bei Franz&Sue täglich für die Mitarbeiter gekocht. Nun dürfen sich auch Gäste und Anrainer von Barbara Chira, die sich in Wien bereits auf der Lerchenfelderstraße als Köchin des Mittagstisches einen Namen gemacht hat, bekochen lassen. Abends sollen sich Grätzlbewohner und Kollegen zum Feierabendbier treffen. Und ab dem Frühjahr sind regelmäßige Veranstaltungen geplant. Volker Dienst, Vorstand von „architektur in progress“ und Barbara Feller, Geschäftsführerin der „Architekturstiftung Österreich“ meinen dazu: „Wir sind Partner im Projekt, weil Baukulturvermittlung nicht in einem Hinterzimmer funktioniert, sondern eine Auslage braucht, die in den öffentlichen Raum ausstrahlen und mit diesem kommunizieren kann.“

 

ARCHITEKTEN
Franz&Sue
Seit der „Vermählung“ von Franz&Sue im Mai 2017 arbeiten 45 Mitarbeiter aus zehn Nationen im Wiener Büro. Geschäftsführende Gesellschafter sind Christian Ambos, Michael Anhammer, Robert Diem, Harald Höller und Erwin Stättner.
In den vergangenen Jahren haben Franz&Sue etwa 30 Wettbewerbe im Bereich Bildungs-, Wohn- und Bürobau gewonnen und darüber hinaus namhafte große Projekte wie das Design der Wiener U-Bahn-Linie 5, das Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen oder das Chemieforschungszentrum in Maria Gugging für sich entscheiden können.
Ein besonderes Vorhaben, die Sanierung und Erweiterung des Justizgebäudes Salzburg, wurde im Herbst 2018 fertiggestellt. Seit 2015 wurde der denkmalgeschützte Altstadtblock grundlegend entkernt, saniert und erweitert. Der historische Komplex wurde für zeitgemäße Anforderungen adaptiert und für die Öffentlichkeit geöffnet. Der verglaste Neubau mit den Verhandlungssälen bildet eine Brücke zwischen traditioneller und zeitgenössischer Justiz, Bürgern und Gericht.

https://www.bauforum.at/architektur-bauforum/der-stadtelefant-im-sonnwendviertel-175456

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Mag. phil.
Dr. techn. MBA
Brigitte Groihofer
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