Helmut Richter (geb. 1941 in Graz, gest.2014 in Wien) studierte an der TU Graz und gilt als wichtiger Vertreter der „Grazer Schule der Architektur“. Er vervollständigte seine Ausbildung mit einem Studium der Informationstheorie sowie der System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles, wo er auch als Forschungsassistent tätig war. In dieser Zeit wandelte er sich – auch durch sein Interesse für Mathematik – vom „Baukünstler“ zum „Ingenieurarchitekten“. 1971–1975 lehrte er an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris.
Impresario und nachhaltig prägender Lehrer
Als Glück für die Studenten kann man den Einzug Helmut Richters 1991 in der Nachfolge von Ernst Hiesmayr in die TU Wien, Abteilung für Hochbau 2 bezeichnen. Seit Karl Schwanzer hatte es keinen so nachhaltig prägenden Impresario an der TU gegeben. Wie jener war er offen für alles konstruktiv Neue, wie jener stellte er den Menschen und die interdisziplinäre Planung in den Mittelpunkt. In den 17 Jahren seiner Lehrtätigkeit an der TU Wien betreute er die unglaublich große Zahl von mehr als 500 Diplomarbeiten und damit auch die heute wesentliche Architektengeneration.
Präzision und kompromisslose Qualität prägten seine Haltung. Mit seinen prototypischen Bauten an der Grenze des Machbaren und Möglichen schuf er Ikonen der Architekturgeschichte. Richters Architekturen gelten noch heute im überwiegend technologiefeindlichen österreichischen Umfeld als Sonderleistungen internationalen Zuschnitts, die aus den in Österreich gewohnten Normen ausbrachen. Er zeichnete seine Hightech-Pläne mit Tusche auf Transparentpapier, Strichstärke0,15 und 0,20 Millimeter, mit höchster Präzision. Das veranlasste seinen britischen Kollegen Peter Cook zum Ausspruch, seine Architektur sei „hand-tailored tech“.
Meisterwerk des Schulbauprogramms 2000
Die Schule am Kinkplatz war das radikalste und mutigste Leuchtturmprojekt des von Hannes Swoboda initiierten Schulbauprogramms 2000 der Stadt Wien. Richter markierte den Beginn der Neuinterpretation des Wiener Schulwesens. Neue Raumtypen waren damals jedoch nicht Teil des Programms, weshalb auch er sich eines Gangtypus bediente. Die leidvolle Realisierungsphase stand unter der Auflage „keine Experimente mehr“ und einige Teile wie etwa die Beschattung wurden schon beim Bau nicht gemäß den Plänen des Architekten realisiert. Ausführungsfehler führten zu Einbrüchen von Hangsickerwasser. Die Kosten für Wartung und Instandhaltung wurden dem Bezirk Penzing übertragen, der unter der Last ächzte. Schon damals hätte es dafür eine Sonderlösung unter Obhut einer fachlich kompetenten Betreuung gebraucht, „denn“, so der Bauingenieur Lothar Heinrich, der lange Jahre mit Richter zusammenarbeitete, „ein Maserati ist auch anders zu warten als ein VW Käfer. Jährliche Berichte und Kontrollen fehlten.“
Als innovatives Projekt der ersten Stunde hat die Schule wohl viele der 70 Lehrer überfordert.
Die Gläser, damals von der Firma Eckelt im Lichtlabor Bartenbach in Oberösterreich entwickelt, waren eine technisch herausragende Weltneuheit und sind Teil der österreichischen Industriegeschichte. Mittlerweile sind 25 Jahre vergangen und es wäre angebracht, sie durch Photovoltaik-Gläser auszutauschen, die schon seinerzeit angedacht waren und auch der Energiegewinnung und als Sonnenschutz dienen würden – ein Photovoltaik-Kraftwerk auf der 2.000 m2 großen südseitigen Turnsaalfläche würde gerade in Zeiten des Klimawandels nachhaltigen Mehrwert generieren. Auch die geplante Nachtlüftung zur Abkühlung der Schule führte man nie aus. Mittlerweile gibt es auch für Akustikverbesserungen neue Lösungen, womit die beiden Hauptkritikpunkte der Nutzer ausderWelt geschafft wären.
Nun, man hat die Schule augenscheinlich jahrelang in fahrlässiger Art und Weise vernachlässigt, heruntergewirtschaftet und schließlich vor zwei Jahren als Schulstandort stillgelegt. Im Bezirk wurde der Bildungscampus Wien West errichtet, sodass es für den Schulbetrieb momentan keinen Bedarf gibt.
Tag des schutzlosen Denkmals
Die Initiative „Bauten in Not“ veranstaltete am 18. September 2019, dem von ihr ausgerufenen „Tag des schutzlosen Denkmals“, eine „Freiluftklassen-Demo-Lecture“ vor Ort. Die zahlreichen Teilnehmer hatten Gelegenheit zur Besichtigung. Viele meinten, dass die Mängel nicht so gravierend seien. Außerdem laufen zwei Petitionen: eine 2014 gestartete internationale mit momentan rund 1.200 Unterschriften und eine neue Petition für Wiener, die sich an den Gemeinderat richtet, der die Causa ab 500 Unterschriften behandeln müsste, was jedoch bei der momentanen Faktenlage gefährlich kontraproduktiv wäre, denn in Anbetracht der kolportierten hohen Sanierungs- und Instandhaltungskosten, des durch neue Schulbauten gedeckten Bedarfs und der Außenseiterstellung von Baukultur würde eine Abstimmung wohl negativ ausgehen.
Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky betonte zwar in einer Presseaussendung vom 3. Juli 2019, es sei klar, dass die Stadt Wien als Eigentümerin des Gebäudes eine „baukulturelle Verantwortung“ trage: „Als Mitglied der Stadtregierung werde ich mich auch dafür einsetzen, dass das Gebäude auch zukünftig mit der notwendigen Sensibilität behandelt wird.“ Sieht man sich die kolportierten Zahlen für eine Sanierung an, sind Zweifel durchaus angebracht, denn neben seriösen Gutachten wie jenem von Werkraum Ingenieure ZT GmbH (2015) und einer Masterstudie unter Einbeziehung aller vorherigen Untersuchungen von DI Dr. Klaus Petraschka von KPPK ZT Gmbh (2016), der mehrere Szenarien durchrechnete, liegt auch eines von einemMödlinger Baumeister namens Ribarich(2019) vor, das in einer Maximalvariante auf absurd hohe Sanierungskosten von 55 Mio. Euro kam. Der Verdacht, dass hier bewusst ein unseriöses Gutachten eingeholt wurde, damit am Ende eine Zahl im Raum steht, die einen Abbruch rechtfertigen würde, drängt sich dem Kenner der österreichischen Seele auf. Bernhard Sommer, Vizepräsident der Ziviltechnikerkammer, meint jedenfalls, ein seriöses Szenario könne erst errechnet werden, wenn die Bedürfnisse künftiger Nutzer definiert seien.
Verwertungswettbewerb
Doch denken wir positiv. Erfreulich ist, dass auch OSR DI Werner Schuster von der Stadtbaudirektion Wien betont, dass die Stadt Wien „den Willen und Wunsch hat, das Gebäude zu erhalten“. Im nächsten monatlichen internen Immobilien-Jour-fixe der Magistrats-Fachdienststellen, der Stadt-Wien-Unternehmungen und der Wirtschaftsagentur Wien wird bei diesen angefragt, ob Interesse an einer Nutzung besteht. Ebenso wird das Gebäude international für Nachnutzungen angeboten. Seitens der Stadt, so Schuster, sei man für alle Möglichkeiten, Vorschläge und Konstruktionen offen – ob Baurecht, Verkauf, Nutzerkonsortien wie z. B. kulturelle/sportliche und Start-up-Gruppen oder ein Superädifikat. Immerhin könnte das Gebäude für Fachhochschulen oder Privatuniversitäten interessant sein und somit den Hochschul- und Forschungsstandort Wien ergänzen. Ein Verwertungswettbewerb in Zusammenarbeit mit der Ziviltechnikerkammer soll in Kürze initiiert werden.
Denkmalschutz
Dass die Helmut-Richter-Schule einen Denkmalschutz verdient, weil sie in der österreichischen Architekturgeschichte einen singulären Platz einnimmt und stilistisch wegweisend für Nachfolgegenerationen ist, steht außer Frage. Warum das Bundesdenkmalamt erst jetzt auf neuerlichen Antrag durch „Bauten in Not“ ein Verfahren einleitet, weiß man nicht.[1]Man kann nur hoffen, dass es zügig zu einem positiven Ergebnis kommt. Jedenfalls werden im nächsten Schritt die Eigentümer zu einer Besichtigung vor Ort eingeladen. Solange das Verfahren läuft, ist ein Abbruch ausgeschlossen. Eine Verpflichtung der Eigentümer zur Instandhaltung gibt es jedoch auch nicht – wer böse denkt, könnte also auch vermuten, dass man die Schule bewusst bis zur Unrettbarkeit verfallen lässt. Das kommt ja immer wieder vor.
Expertenworkshop am 23. Oktober 2019
Die Österreichische Gesellschaft für Architektur, die Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs und die TU, Wien werden gemeinsam am Mittwoch, dem 23. Oktober 2019 einen nichtöffentlichen Expertenworkshop veranstalten, in dem die technischen und rechtlichen Grundlagen einer Sanierung aufgearbeitet werden sollen.
Die nächsten Schritte
Aufbauend auf der Haltung und Vision von Helmut Richter sollte in Zusammenarbeit mit Architekten, Experten, Vertretern der Stadt und dem Bundesdenkmalamt ein innovatives, zukunftsweisendes Konzept entwickelt werden – ein neues Flaggschiff für den Forschungsstandort Wien.
[1]Für Unterschutzstellungen von Denkmälern ist in Österreich einzig das Bundesdenkmalamt (BDA) zuständig. Dieses handelt auf der Grundlage des Denkmalschutzgesetzes (zur Unterschutzstellung siehe dort besonders die §§ 2, 2a und 3). Bürgerinnen und Bürger können dem BDA Vorschläge machen und Hinweise geben, aber nur die Landeshauptleute können, wenn sie der Meinung sind, der Schutz liege im öffentlichen Interesse, einen Antrag auf Unterschutzstellung einbringen.
Das BDA ist unabhängig, es ist aber gehalten, im Laufe eines Unterschutzstellungsverfahrens den involvierten Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Im BDA-Originalton lautet dies folgendermaßen:
„Nach Terminvereinbarung findet zur Bewertung eine Besichtigung der Objekte statt.
Danach wird vom Amtssachverständigen des Bundesdenkmalamtes ein Gutachten erstellt. Dieses Amtssachverständigengutachten wird gleichzeitig mit der Mitteilung über eine beabsichtigte Stellung unter Denkmalschutz an die Parteien (das sind bei unbeweglichen Objekten die EigentümerInnen und allenfalls Bauberechtigten, Landeshauptmann, Gemeinde, Bürgermeister) versendet.
Nun besteht die Möglichkeit, dazu Stellungnahmen abzugeben. Das Bundesdenkmalamt hat sich im weiteren Verfahren mit diesen Stellungnahmen auseinanderzusetzen.
Erst danach wird der Bescheid unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen erlassen und mit der Post als Rückscheinbrief (RSb-Brief, weißer Brief) zugestellt. Alle Parteien haben nun die Möglichkeit, gegen den Bescheid innerhalb einer Frist von vier Wochen Beschwerde zu erheben. Rechtsmittelinstanz ist das Bundesverwaltungsgericht.
Nach rechtskräftiger Unterschutzstellung erfolgt bei unbeweglichen Denkmalen von Amts wegen die Ersichtlichmachung des Denkmalschutzes im jeweiligen Grundbuch. Die Eintragung des Denkmalschutzes im Grundbuch ist eine zusätzliche Information zu den Grundbuchdaten. Damit sind keine weiteren Rechtsfolgen (Belastungen) verbunden.
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